Der vermeidend-dismissing Bindungsstil: Warum emotionale Distanz nicht die Antwort ist
- Anna Wilitzki
- 10. Juni
- 3 Min. Lesezeit
Der „kühle“ Partner: Warum Nähe nicht immer einfach ist
Hast du dich jemals dabei ertappt, wie du in einer Beziehung das Bedürfnis hast, dich emotional zurückzuziehen, wenn es zu intensiv wird? Vielleicht hast du sogar das Gefühl, dass du deinen Freiraum brauchst, um nicht „gefangen“ zu werden. Wenn du das häufig erlebst, könnte dies an deinem Bindungsstil liegen – insbesondere an einem vermeidend-dismissingBindungsstil.
Als Paartherapeutin habe ich festgestellt, dass dieser Bindungsstil oft missverstanden wird. Der vermeidend-dismissing Typ wird in Beziehungen manchmal als „kühl“ oder „gefühllos“ wahrgenommen. Aber die Realität ist komplexer. Dieser Bindungsstil kommt nicht daher, dass jemand keine Gefühle hat, sondern vielmehr aus einer tiefen Angst vor Abhängigkeit und dem Verlust von Autonomie. Doch wie entsteht dieser Bindungsstil und wie kann er Beziehungen beeinflussen?

Der Ursprung des vermeidend-dismissing Bindungsstils: Zu viel Unabhängigkeit?
Menschen mit einem vermeidend-dismissing Bindungsstil haben häufig gelernt, dass Nähe nicht sicher ist – oder dass ihre Bedürfnisse in der Kindheit nicht immer berücksichtigt wurden. Vielleicht wurde ihnen beigebracht, dass „Unabhängigkeit“ der Weg ist, um emotionale Verletzlichkeit zu vermeiden. Sie haben sich daran gewöhnt, ihre eigenen Bedürfnisse zu unterdrücken, um keine Schwäche zu zeigen oder von anderen abhängig zu werden.
Dieser Bindungsstil entwickelt sich oft in Umfeldern, in denen emotionale Bedürfnisse nicht offen und konstant erfüllt werden. Wenn in der Kindheit Nähe als etwas Unsicheres oder Unberechenbares erlebt wurde, entwickelt sich häufig der Wunsch, emotionalen Schmerz zu vermeiden – oft durch das Vermeiden von Nähe in späteren Beziehungen.
Wie der vermeidend-dismissing Bindungsstil Beziehungen beeinflusst
Menschen mit diesem Bindungsstil neigen dazu, Nähe zu vermeiden. In Partnerschaften ziehen sie sich oft zurück, wenn die Beziehung zu intensiv oder zu emotional wird. Es ist nicht so, dass sie keine Nähe wollen, aber sie haben oft Schwierigkeiten, diese zuzulassen, weil sie befürchten, ihre Unabhängigkeit oder Selbstständigkeit zu verlieren.
Oft reagieren sie auf ihre Partner mit „ich brauche meinen Raum“ oder „ich kann das selbst lösen“. Dies kann zu Frustration und Missverständnissen führen, da der Partner möglicherweise das Gefühl hat, abgelehnt oder nicht gebraucht zu werden. Ein häufiges Missverständnis entsteht, weil der vermeidend-dismissing Partner das Bedürfnis nach Distanz hat, während der andere nach mehr Nähe strebt.
Das Beispiel aus der Praxis: Wie Distanz zu Konflikten führt
In meiner Praxis hatte ich kürzlich ein Paar, bei dem der eine Partner oft emotional auf Abstand ging, sobald der andere mehr Nähe suchte. Der distanzierte Partner wollte nicht verletzen, aber konnte mit der intensiven Nähe des anderen nicht umgehen. Der „abhängigere“ Partner reagierte auf den Rückzug mit Enttäuschung und Unverständnis.
Der vermeidend-dismissing Partner fühlte sich überfordert und suchte nach Möglichkeiten, die Beziehung zu entflechten, ohne die Beziehung insgesamt zu gefährden. Doch das führte zu einem ständigen Missverständnis: Der eine wollte Nähe, der andere zog sich zurück. Das Paar begann, miteinander zu arbeiten, und als sie verstanden, warum der distanzierte Partner diese Reaktionen zeigte, begannen sie, eine gemeinsame Basis zu finden.
So kannst du als vermeidend-dismissing Bindungstyp an deinen Beziehungsmustern arbeiten
Es gibt gute Nachrichten: Auch wenn du dich mit diesem Bindungsstil identifizierst, bedeutet das nicht, dass du deine Beziehungsmuster nicht ändern kannst. Es erfordert jedoch bewusstes Handeln und Verständnis für die eigenen Ängste und Bedürfnisse. Hier sind einige Ansätze:
Selbstreflexion und Akzeptanz: Der erste Schritt besteht darin, zu erkennen, dass du emotionale Distanz aus einer Angst heraus aufbaust – der Angst, die Kontrolle zu verlieren. Akzeptiere, dass deine Gefühle nicht „schwach“ sind und es okay ist, Nähe zuzulassen, ohne deine Unabhängigkeit zu verlieren.
Offene Kommunikation mit deinem Partner: Erkläre deinem Partner deine Ängste und warum du in intensiven Momenten distanziert reagierst. Eine offene Kommunikation kann helfen, Missverständnisse zu vermeiden und mehr Verständnis füreinander zu entwickeln.
Die Bedeutung von Sicherheit: Eine der größten Ängste des vermeidend-dismissing Bindungstyps ist die Vorstellung, emotional verletzt zu werden. Du kannst lernen, sicherere Bindungen zu entwickeln, indem du deine Ängste konfrontierst und zu erkennen beginnst, dass Nähe nicht mit Kontrollverlust verbunden ist.
Therapie und professionelle Unterstützung: Wenn du Schwierigkeiten hast, deine Bindungsdynamiken alleine zu ändern, kann eine Paartherapie in Berlin oder eine Einzeltherapie dir helfen, die zugrunde liegenden Ängste zu erkennen und an ihnen zu arbeiten.
Fazit: Nähe und Unabhängigkeit – Ein Balanceakt, den man lernen kann
Der vermeidend-dismissing Bindungsstil kann das Gefühl von Nähe und Verbindung in Beziehungen herausfordern. Doch der Weg zur Veränderung ist möglich – vor allem, wenn du beginnst, deine Ängste zu erkennen und deine Bedürfnisse anzusprechen. Deine Unabhängigkeit ist nicht in Gefahr, nur weil du Nähe zulässt.
Wenn du die Dynamiken deines Bindungsstils verstehst, kannst du lernen, eine Balance zwischen Nähe und Unabhängigkeit zu finden, die sowohl dir als auch deinem Partner zugutekommt. Es ist ein Prozess, der Geduld und Selbstreflexion erfordert, aber er führt zu tieferen und authentischeren Beziehungen.
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